Brigitte und Ivo Jost auf der Veloweltreise

Brigitte Ivo Jost-Willener

Seit Juli 2013 sind wir wieder unterwegs. Der Zeithorizont der Reise ist diesmal offen. Zunächst fahren wir nun Richtung Osten, vielleicht kehren wir irgendwann aus dem Westen zurück…

Seit über einem Jahr treten sie nun in die Pedale, momentan sind sie in hier unterwegs>>  

 

serbien 1Hier begann ihre grosse Reise:

Begegnungen am Ende Europas

Reisebericht vom 31. August 2013 zwischen Griechenland und der Türkei

Dragon kommt einmal pro Jahr aus Serbien nach Montenegro. Nach der langen Busfahrt sitzt er an der Tankstelle bei Niksic, trinkt ein Bier, bevor er einen Kilometer zu seinem Elternhaus läuft. Dort übernachtet er im Haus seines verstorbenen Vaters, besucht die Verwandtschaft, reist am nächsten Tag wieder zurück nach Serbien. Genau an diesem Tag radeln wir an der Tankstelle vorbei. Es dämmert bereits, wir halten an, suchen einen Schlafplatz. Dragon lädt uns in einem Sprachenmix aus Russisch und Deutsch zum Tee ein. Selbstverständlich dürfen wir bei ihm übernachten. Seine restliche Familie heisst uns willkommen, es wird Kaffee serviert, wir können duschen, schlafen müde auf dem bequemen Sofa ein.

Serbien 2In Niksic gehen wir uns registrieren. Ein überflüssiges Erbe der Sowjetzeit. In der Fussgängerzone spricht uns ein Roma Pärchen auf Deutsch an. Wir sind wachsam. Zigeuner, ein Volk am Rande unserer Gesellschaft – die wollen uns doch beklauen! Das Gegenteil ist der Fall. Die beiden sind neugierig, laden uns zum Eis ein, wollen unter keinen Umständen, dass wir bezahlen. Vorurteile schwinden.

Der Verkehr in Montenegro ist haarsträubend, die Strassen eng, unübersichtlich und kurvig. Trotzdem wird gerast, gehupt und ohne Rücksicht auf Verluste waghalsig überholt. In zahlreichen Kurven strampeln wir auf direktem Weg eine Felswand hinauf auf das karstige Hochplateau des Durmitor Nationalparks. Die höchsten Berge des dinarischen Gebirgszuges finden sich hier und die ruhige Nationalparkstrasse führt direkt zwischen ihnen hindurch. Velofahren, wie wir es lieben. Am Abend schlafen wir auf einem kleinen Camping in Tsra. Gratis. Ehrensache.

Sebien 3„Bin e ächte Ämmitaler!” Fünfzehn Jahre hat Burim in Burgdorf verbracht, geflüchtet vor den Bombardierungen der NATO 1999. Nun steht er zusammen mit uns an der kosovarischen Grenze, will seine Familie besuchen. Zwei Tage ist er im Auto über Italien, Kroatien und Montenegro hierher gefahren. Für die gleiche Strecke waren wir vier Wochen unterwegs. Klar lädt er uns zu einem Tee ein. Wir wollen wissen, wie es um die Sicherheit im Kosovo steht. „Kes Problem, wi ir Schwiz”, nur Orthodoxe müssten noch vorsichtig sein. Die ethnischen Spannungen sind sichtbar geblieben: Übersprühte serbische Ortsschilder auf dem Weg in die Stadt Peje.

Perfektes Bayrisch rieselt uns entgegen, als wir uns in Peje nach dem weiteren Weg erkunden. Und bevor wir uns recht versehen, ist der Freund aus dem benachbarten Fliesengeschäft zur Stelle und zeichnet uns ein Kroki vom Weg bis zur albanischen Grenze. Kaum fertig werden wir in das nächste Teehaus geschoben: „Des Kaffee wartet schon…”

Serbien 4Ein schwarzer doppelköpfiger Adler auf rotem Grund flattert auf jedem Dachgiebel. Wir sind in Albanien. Die Verständigung wird sofort schwieriger. Albanisch lässt sich mit keiner unserer bekannten Sprachen kombinieren, doch zum Glück sprechen einige Leute Italienisch. So erfahren wir, dass die Fähre von Fierzë nach Kukës gar nicht mehr existiert, sondern nur die über den Komani Stausee. Das bringt unsere Routenplanung etwas durcheinander, wollten wir doch eigentlich in den Bergen bleiben und damit die Hitze des Tieflandes vermeiden. Trotzdem sitzen wir früh am nächsten Morgen in einem zum Schiff umgebauten, schwimmenden Autobus, der uns durch eindrückliche Schluchten und an einsamen Bootsanlegestellen vorbei bringt. Die Personenfähre wird von den Einheimischen als wichtiges und einziges Verkehrsmittel rege benutzt. Ein Zeitsprung mitten in Europa.

Serbien 5Ein älterer Mann wartet am Strassenrand und verkauft Trauben. Wunderbar, Traubenzucker ist genau, was wir brauchen, wenn wir den vor uns liegenden Passaufstieg noch vor dem Eindunkeln schaffen wollen. Wir halten an und schon werden wir mit den süssen Früchten überhäuft. Obwohl wir mehrmals insistieren, will Qemal kein Geld. Als wir weiterfahren wollen, packt er hastig seine Trauben zusammen, nimmt uns am Arm und führt uns zu seinem Haus, wo wir von seiner Frau weiter bewirtet werden. Mit grosser Selbstverständlichkeit werden wir von ihr in das Zimmer ihres jüngsten Sohnes einquartiert. Wir glauben zu verstehen, dass von ihren vier Söhnen einer in Tschechien, einer in Ungarn, einer in England und einer in Deutschland lebt und sie und ihr Mann alleine hier zurückgeblieben sind. Ein Los, das viele ältere Menschen in Albanien zu teilen scheinen. Wir werden am nächsten Morgen mit Umarmungen und Küssen wie Familienmitglieder verabschiedet, mit Gurken, Tomaten und Trauben für die nächsten paar Tage im Gepäck.

serbien 6Die letzten mazedonischen Dinar sind gewechselt, wir sind auf dem Weg zurück in den Euroraum. Die ersten Dörfer in Griechenland wirken verschlafen, die Menschen gar nicht so europäisch. Trotzdem merkt man den Einfluss der EU: Solaranlagen, Bewässerung, intensive Landwirtschaft. Die Schrift macht uns zu Analphabeten, bis wir begreifen, dass Thessaloniki auf den Strassenschildern als Thessa/Niki abgekürzt wird. Wir besitzen keine Karte von der Region, da wir uns kurzentschlossen zu einer Routenänderung entschieden haben. Die Fähre bringt uns in die Türkei. Hier endet Europa.

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