Grönland – Trekking zum Urzustand der Erde

02 Paul Austmanadalen Greenland 2019

Grönland – Trekking zum Urzustand der Erde

Von Paul Christener

Die Region Tummeralik – Austmannadalen im Westen Grönlands kommt der Erkundung des Urzustandes der Erde in einem der entlegensten Ländern der Welt gleich. Hier hat noch keiner irgendetwas verändert, seit die Erde entstand – den einzigen Hinweis auf menschliche Aktivitäten finden sich in den Spuren, die Gletscher zurückgelassen haben, weil sie vor der Erderwärmung kapitulieren.

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Es ist ein Abenteuer, auf das man sich einlässt. Zwar gibt es eine Landkarte im Massstab 1:100’000, aber kaum Routenbeschreibungen oder Bilder, die die Planung vereinfachen, geschweige denn Markierungen unterwegs. Kommt dazu, dass man während dem kurzen Sommer auf einer Höhe von bis zu 1’600 Meter über Meer damit rechnen muss, dass es schneit.

Trotzdem haben wir uns für die Tour entschieden, weitab von Annehmlichkeiten. Im Wissen darum, während den nächsten Wochen abends auf die warme Dusche und auf frische Kleider am nächsten Morgen zu verzichten. Im Bewusstsein, mit knapp berechneten Lebensmittelvorräten auskommen zu müssen, zu Fuss mit einer Geschwindigkeit von maximal einer Meile pro Stunde unterwegs zu sein und auf Kontakte zu anderen Menschen zu verzichten, weil dort oben kaum einer unterwegs ist.

Warum tut man sich so etwas an?

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Erstens wegen der Stille, die wir nie in dieser Form erleben. Für mich ist Stille eine Zeit ohne Zivilisationslärm. Ein Wasserfall kann zwar ohrenbetäubend laut sein, aber es ist die Natur, die den Lärm verursacht. Gleiches gilt für den Schrei eines Tieres oder das Eis, das krachend in einen Fjord fällt. Auf einem Stein zu sitzen, die Augen zu schliessen und sich fünfzehn Minuten lang zu konzentrieren, ohne von einem nicht-natürlichen Geräusch gestört zu werden kommt 2019 einem Ausnahmezustand gleich. Da ist nichts, kein Flugzeug in ein paar Kilometern Höhe, kein Rington, der den aktuellen Status Sozialer Medien ankündigt, kein Motorenlärm, der aus einem Tal heraufdrängt. Nichts als das Rauschen im Kopf.

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Weil es eine Zeit ist, in der sich das Leben auf das reduziert, was im Rucksack Platz findet. Und das ist nicht viel, aber genug, um zu leben. Es ist eine Zeit, die von Basics bestimmt wird, eine Herausforderung, dem sich Kopf und Körper stellen müssen. Dafür haben wir simple Regeln aufgestellt wie beispielsweise 45 Minuten laufen, gefolgt von 15 Minuten Pause solange, bis sich der Körper nach ein paar Tagen an den schweren Rucksack gewöhnt hat.

Weil wir auf uns gestellt sind und aus Erfahrung wissen, dass wir ein Ziel nur zusammen erreichen. Nicht vorzustellen was wäre, wenn einer genervt vorauseilt und der andere versucht, an dessen Geschwindigkeit dran zu bleiben. Oder wenn müde oder sich verletzt hat und der andere weiter möchte, obwohl die Tour sinnvollerweise unter- oder gar abgebrochen werden müsste. Aus solchen Situation entsteht entweder ein Chaos oder ein Erlebnis, eine Erinnerung, die sich im Kopf einnistet.

Das bringt mich zum wichtigsten Grund, warum wir hier sind. Die Region hinter der Siedlung Kapisillit besteht aus sanften Hügeln, tiefblauen Seen, schroffen Felsen, Fjorden mit Eisbergen und dem Inlandeis – wer sich hierhin aufmacht unternimmt eine Reise in die Vergangenheit der Erdgeschichte.

Ohne Verzicht auf Annehmlichkeiten ist sie nicht machbar. Daraus entsteht paradoxerweise ein Privileg und damit Luxus. Denn wer kann schon behaupten, am Abend im Zelt im Schlafsack zu liegen und die letzten Sonnenstrahlen des langen Tages auf dem Gesicht zu spüren und Stille zu lauschen, die es nicht mehr gibt?

Bilder und Text von Paul Christener. Hier gehts zu seiner Website>>

Herzlichen Dank für die fantastischen Bilder, Paul!

Aschi Widmer

 

 

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